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Die Klasse 9F1 besuchte das Amtsgericht Heidelberg

Dienstagmorgen während der Schulzeit, es war der 16. Juli 2019, und meine ganze Klasse ging nicht in die Schule. Wir durften ins Gericht.

Aber nicht, weil jemand von uns etwas angestellt hat. Passend zum Thema unseres Gemeinschaftskundeunterrichts, Recht und Rechtsprechung, wollten wir uns zusammen mit Julia Link und Dr. Elke Schwarzer bei einer Exkursion ins Heidelberger Amtsgericht anschauen, wie ein Gerichtsverfahren abläuft.

Gemeinsam wollten wir zwei verschiedene, öffentliche Verhandlungen ansehen: Eine zum Thema (schwere) Körperverletzung, die andere zum Thema sexueller Missbrauch. Ab 8:30 Uhr saßen wir also alle im Gerichtssaal. Unser Zuschauer-Bereich war vom Rest des Saals durch eine hüfthohe Holzwand abgetrennt. Der Tisch direkt uns gegenüber war der größte und für unsere Richterin, bzw. mehrere Richter und Richterinnen sowie einen Protokollanten reserviert. Am Tisch rechts saß die Staatsanwältin, ihr gegenüber der Angeklagte und seine Rechtsanwältin.

Die Verhandlung begann, indem wir alle aufstanden und die Richterin den Saal betrat. Danach setzten wir uns und die Richterin verlas Anklage und Tatverlauf:

Der Angeklagte wollte seine Freundin von einer Hausparty abholen. Als er jedoch das Haus betrat, soll er die beiden dort anwesenden anderen Jungs beleidigt haben und sie geschlagen haben. Nachdem eine Prügelei entstand, soll die Mutter der Gastgeberin die sich schlagenden Jungs getrennt haben, und soll den Kläger, sowie dessen Freund hinter die Küchentür gezogen haben. Nach ihrer Aussage tat sie dies, um diese beiden Jungs zu schützen. Als sie die Tür wieder ein Stück öffnete, soll ihr der Angeklagte zusätzlich ins Gesicht gespuckt haben.

Diesen Tatverlauf haben die sieben bei der Hausparty anwesenden jungen Erwachsenen (16 bis 23 Jahre) und der Kläger, einer der geschlagenen Jungs, so geschildert. Bei der Version des Klägers und einigen anderen Aussageversionen spielt sogar noch ein Schlagring eine Rolle: Der Angeklagte soll mit voller Wucht und einem Schlagring auf der Hand ins Gesicht des Klägers geschlagen haben, bei dem tatsächlich eine Wunde von ca. 2 Millimeter Tiefe dokumentiert wurde.

Die Gerichtsverhandlung, die wir besucht haben, fand erst 6 Monate nach der Tat statt. Daher waren sowohl wir Zuschauer als auch die Richterin ständig mit der Bewertung der Aussagen befasst, wer lügt, wer sagt die Wahrheit und wer kann sich schlicht nicht mehr erinnern.

Dem Angeklagten stand es frei, sich zum Tathergang zu äußern. Da er sich jedoch verteidigen wollte, erzählte er uns eine abweichende Version der bisher bekannten Geschichte:

Er wollte seine Freundin abholen. Das ist gleichgeblieben. Doch als er das Haus betrat, wurde er vom Kläger gemein beschimpft und angegriffen. Auch bei seiner Version kam die Mutter der Gastgeberin und hat die Jungs getrennt Die beiden Angreifer zog die Mutter hinter dieselbe Tür wie bei der Version des Klägers. Diesmal aber, um den Angeklagten zu schützen.

Die Richterin hinterfragte alles kritisch, was mir persönlich direkt positiv aufgefallen ist.

Der Angeklagte berichtete auch von seinen eigenen Verletzungen, die die Polizei ebenfalls dokumentiert hatte. Spannend wurde es, als er uns von der Verletzung an seiner Backe erzählte, denn er berührte seine rechte Wange, um seine Aussage zu unterstreichen. Sofort unterbrach ihn die Richterin und fragte ihn, warum er sich denn an die rechte Backe fasse, wenn doch die Polizei festgehalten hatte, dass seine Wunde auf der linken Backe war. Von diesem Detailwissen der Richterin waren wir sehr beeindruckt; Sie kannte den Fall unglaublich gut und achtete sogar darauf, was eine Person mit ihren Händen macht, um zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden. Das hätten wir nicht erwartet. Nun stand die Frage im Raum: War die Wunde überhaupt echt? Oder hat sich der Angeklagte nach 6 Monaten nur nicht mehr daran erinnert?

Manchmal stellte auch die Staatsanwältin Fragen. So sind immer mindestens 2 Personen anwesend, die versuchen, alle Lügen zu enttarnen und die Wahrheit herauszufinden.

Zum Schluss wurden die Zeugen nacheinander und immer einzeln in den Gerichtssaal hereingebeten. Auch sie wurden, wenn auch kürzer, genauso zu dem Vorfall befragt.

Die dritte Zeugin widerrief ihre gegenüber der Polizei getätigte Aussage, sie sagte, dass sie nun doch keinen Schlagring gesehen habe. Sie habe vor der Polizei gelogen, um ihrem Freund, dem Angeklagten, zu helfen.

Daraufhin wurde der erst 16 Jahre alten Zeugin von der Richterin geraten, nicht mehr zu antworten, um sich nicht selbst zu belasten, da eine Falschaussage gegenüber der Polizei natürlich strafbar sei. Mit diesen Erkenntnissen wurden auf einmal auch die Lichtverhältnisse im Haus wichtig; War es hell genug, dass man überhaupt einen Schlagring hätte erkennen können?

So wurde viel diskutiert und immer mehr Zeugen konnten ihre Wahrnehmung erzählen.

Abschließend zogen sich die Richterin und die beiden Anwältinnen zu einer kurzen Besprechung in ein Hinterzimmer zurück. Die Verhandlung lief mittlerweile doppelt so lang als geplant. Die zweite Verhandlung, die wir besuchen wollten, würden wir wohl nicht mehr sehen können.

Schließlich kam die Richterin wieder in den Gerichtssaal. Sie verkündete, dass der Angeklagte, um die Verhandlung vorzeitig abzuschließen, entweder 60 Sozialarbeitsstunden leisten konnte oder 1.000 Euro bezahlen musste. Tatsächlich ging der Angeklagte auf diesen Vorschlag ein und wollte 60 Sozialarbeitsstunden als Wiedergutmachung leisten.

Was für uns jedoch absolut erstaunlich war; Nach der Gerichtsverhandlung standen alle Zeugen, Kläger und Angeklagter in einem Kreis zusammen und redeten fröhlich miteinander als hätte es einen Streit, der gar ein Gerichtsverfahren nötig macht, nie gegeben.

Abschließend können wir bestätigen: Es ist nicht immer einfach festzustellen, wer die Wahrheit sagt. Auch gibt es nicht immer nur eine Wahrheit. Vielleicht hat der eine in einem Punkt recht, der andere bei einem anderen. Die Richterin und die Staatsanwältin erklärten übereinstimmend, dass wäre das Schwierigste bei ihrem Job; Sie wollen nicht ungerecht sein und die Wahrheit ans Licht bringen, doch das ist nie einfach. „Wenn man im Gericht arbeitet, bekommt man mehr und mehr ein Gefühl dafür, wer die Wahrheit sagt“, erklärte die Staatsanwältin.

Auch ist so ein Job mit viel Aufwand, Zeit und Schreibarbeit verbunden. „Manchmal sitze ich noch gut eine Woche an einem Fall, um alles zu dokumentieren“, sagte die Staatsanwältin. Allein die vorherigen Untersuchungen und Polizeiberichte umfassten über 90 Seiten.

Am Besten ist es aber natürlich, wenn es gar nicht erst zu einer Gerichtsverhandlung kommen muss.

Wir haben eindrucksvoll gelernt, dass kein Zeuge wirklich neutral ist und vieles ist doch nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint. Als Richter/Richterin muss man ein wirklich feines Gespür für all die Grautöne zwischen schwarz und weiß entwickeln.

Ben Freudenberg, Klasse 10F1 (ehemals 9F1)

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